Werkstatt 2.0

„Wertschätzung ist das zentrale Thema“

Der IT-Dienstleister „Ratiodata“ kooperiert seit 2019 mit den Alexianer Werkstätten in Münster.

Es ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: „Ratiodata“ betont sein soziales Engagement, die Alexianer können ihrem Auftrag nachkommen – und für die Beschäftigten ist es ein Weg zurück in die Arbeitswelt.

Manchmal entsteht Gutes durch Zufall: Klemens Baumgärtel, einer von drei Vorständen des IT-Dienstleisters „Ratiodata AG“ aus Frankfurt und Münster, nimmt 2018 an einer Beerdigung teil. Der Verstorbene war ein Mitarbeiter der Alexianer. Das gilt auch für die Männer und Frauen, die beim Trauerkaffee neben Baumgärtel sitzen. Und wie das so ist: Man kommt ins Gespräch. Die Kollegen des Verstorbenen erzählen von den Alexianern, Baumgärtel von „Ratiodata“, einem sogenannten „Systemhaus“, das unter anderem im großen Stil Akten einscannt.

Das Ergebnis ist eine Kooperation. „Ratiodata“ in Münster arbeitet seit Mai 2019 mit den Werkstätten der Alexianer zusammen. Menschen mit psychischen Erkrankungen bereiten Dokumente für den Scan-Prozess vor.

„Das ist keine banale, sondern eine verantwortungsvolle Tätigkeit“, sagt Baumgärtel: „Kein Blatt darf verschwinden, und vor dem Einscannen der Akten müssen die Unterlagen durch beschriftete Trennblätter erst einmal in eine Struktur gebracht werden, damit die bisherige Ordnung der Blätter und Zettel auch in Digitalform ersichtlich ist.“ Wenn es gut läuft, können sich die Beschäftigten der Alexianer Werkstätten auf diesem Weg für den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren.

Die Kooperation schafft eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Die Firma „Ratiodata“, die Ratiodata die Teil der "Genossenschaftlichen FinanzGruppe" ist, kann zeigen, dass sie ein sozial und regional engagiertes Unternehmen ist: „Wir sind nicht zuletzt ein genossenschaftlich organisiertes Haus. Das verpflichtet. Und die Kooperation mit den Alexianern schließt auch nahtlos daran an, dass wir schon immer Menschen mit Behinderungen beschäftigen.“

Die Alexianer wiederum wollen Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen zu so viel Normalität, Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe wie möglich verhelfen – ein Bestreben, das bei ihnen schon immer zum Selbstverständnis gehört.

Vor diesem Hintergrund entstanden als Ergänzung der Alexianer Werkstätten die „AlexOffices“ in Köln und Münster, die man sich laut Bereichsleiterin Kerstin Wichmann in Münster „wie eine kleine Werbeagentur“ vorstellen muss: „Wir machen Layouts, Bildbearbeitung, Texte, Gestaltung und Webseiten-Pflege.“ Nur eben in einer geschützten Umgebung, in der nicht der übliche Druck der Agenturszene herrscht.

Viele der Beschäftigten haben abgeschlossene Berufsausbildungen. Dass sie in ihren erlernten Berufen nicht arbeiten können, liegt an Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen. Wichmanns Kölner Kollegin Cathleen Schirmann sagt: „Über die Rückkehr zu einem geregelten Arbeitsalltag und die erfolgreiche Umsetzung von Kundenprojekten kehrt das verlorene Selbstvertrauen wieder zurück. Die Leute erfahren wieder, wie es ist, ein wichtiger Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wertschätzung ist das zentrale Thema.“

„Die Leute erfahren wieder, wie es ist, ein wichtiger Teil einer Gemeinschaft zu sein.“

Cathleen Schirmann, AlexOffice Köln

Zurück zu „Ratiodata“, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma an diesem Tag in einer Halle mit zwei großen Scan-Straßen stehen. Die Beschäftigten der Alexianer Werkstätten sind in einem separaten Teil der Scanhalle tätig. Dort warten große Mengen von Aktenordner darauf, entheftet zu werden. Und das bedeutet nicht nur, das Papier aus den Ordnern zu nehmen und Büroklammern zu entfernen: Die Alexianer müssen die Blätter von den Heftklammern befreien, geknickte Seiten glätten, kaputte Seiten reparieren, Notizzettel und Fotos auf neue Seiten kleben, thematische Trennblätter mit Barcodes einfügen.

Erst dann kommt der Stapel in die Scanner, die im Idealfall 18.000 Seiten Text pro Stunde in maschinenlesbare Nullen und Einsen verwandeln.

Viele Beschäftigte träumen von einer Festanstellung
Einer der aktuell sieben Männer und Frauen, die über den Außenarbeitsplatz der Alexianer bei der „Ratiodata“ arbeiten können, ist Klaus Dieter Lehmann. Er kommt aus der Metallbranche und wurde durch eine Erkrankung arbeitslos – vor fast zwanzig Jahren: „Seither habe ich eigentlich nur einige 450-Euro-Jobs bekommen können“, erzählt er. Jetzt hofft er auf eine Festanstellung bei der „Ratiodata“. Durch die frühere Tätigkeit in einem Archiv bringe er schon etwas fachliche Vorerfahrung mit, und die Arbeit im Scan- und Dokumentenservice mache er überdies gern.

Die Aussichten für eine Übernahme sind gut. „Die Ratiodata hat allein im ersten Jahr seit Projektbeginn drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von uns übernommen“, sagt Gruppenleiter Oliver Schicht, der von Hause aus Industriekaufmann ist und gerade eine Fortbildung zur Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung macht.

Schichts Aufgabe besteht darin, neue Beschäftigte in die Arbeitsschritte und Software einzuarbeiten, bei ersten Übungen zu begleiten und ihnen anschließend zur Seite zu stehen: „Wenn sie sich ein halbes Jahr bewährt haben, können die Neuen auch aufwendigere Akten bearbeiten, zum Beispiel Immobilienkreditakten von Banken, bei denen man die komplette Akte querlesen muss, um sie nach einem vorgegebenen Schema einsortieren zu können.“ Der nächste Schritt wäre eine Tätigkeit in der Erfassung: „Dort werden die gescannten Akten durchgesehen, mit Schlagwörtern versehen und handschriftliche Eintragungen ins EDV-System übertragen.“

Und nebenher wächst das Gefühl, sich im Job zu bewähren: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen spürbar wieder einen Fuß in die Tür zum allgemeinen Arbeitsmarkt.“


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