Hundebesuchsdienst

Die Glücksbringer

Die Alexianer im Rheinland organisieren einen Hundebesuchsdienst für Menschen mit Demenz: „4 Pfoten für Sie“.

Der Kontakt zu den Tieren, den „4 Pfoten für Sie“ ermöglicht, ist nicht nur für die Erkrankten ein Segen – er hilft den Angehörigen und macht auch die Hundebesitzerinnen und -besitzer glücklich, die mit einem Schulungsprogramm auf den Einsatz vorbereitet wurden.

Nein, sagte sie. Irgendeine ehrenamtliche Helferin, die ab und zu vorbeischauen würde, um ihr Gesellschaft zu leisten? Kommt nicht infrage: „Ich will erst recht nicht zu irgendwelchen Sing- oder Bastelnachmittagen gebracht werden. Dafür bin ich nicht der Typ.“ Die Demenz-Erkrankung machte Doris Fischer (Name geändert) zu schaffen. Aber schon die Pflegekraft, die ihre Tochter für sie organisiert hatte, war für eine selbstständige Frau wie sie eine Zumutung.

Die Tochter verstand das. Sie verwarf den Plan – um ihn später in veränderter Form doch noch umzusetzen. Die Tochter von Frau Fischer beobachtete verzweifelt, wie ihre Mutter immer einsamer wurde und litt darunter, diese Einsamkeit nicht selbst ausgleichen zu können. Und dann erinnerte sie sich plötzlich an Schnüffel, einen Zwergpudel, den ihre Eltern einst wie ein Kind geliebt hatten. 

Seither kommt eine Hundebesitzerin von „4 Pfoten für Sie“ regelmäßig bei Doris Fischer vorbei, gemeinsam mit dem Golden Retriever Clara, und es sind jedes Mal Begegnungen, bei denen die alte Dame wie verwandelt auf den Hund reagiert, ihn streicheln, füttern und je nach Tagesform auch mit ihm spazieren gehen will. „Ich glaube“, sagt Frau Fischers Tochter, „dass diese starke Reaktion meiner Mutter sehr viel damit zu tun hat, dass ein Hund einfach ein Hund ist. Dass er sie nicht bewertet und so nimmt, wie sie ist. Alles, was sie tut, scheint für einen Moment richtig zu sein.“

Selbst Stunden nach dem Besuch sei noch zu bemerken, was Clara bewirkt hat. Dann habe die alte Dame zwar häufig vergessen, dass der Retriever da war, „aber sie ist innerlich ruhig, das ist sie sonst nicht, und auch gut gelaunt“.

Änne Türke kam erst auf den Hund – dann auf die Idee

Entwickelt wurde „4 Pfoten für Sie“ von der Altenpflegerin und Sozialarbeiterin Änne Türke, die seit 2006 bei den Alexianern in Köln angestellt ist, zunächst im Demenz-Service-Zentrum, dann im Regionalbüro für Alter, Pflege und Demenz. Türke schaffte sich 2007 privat einen Labrador an, den sie Jonah nannte und bei dem Hundetrainer Michael „Atze“ Nehmann ausbilden ließ. Dabei kamen die beiden ins Gespräch – über ihre Arbeit, die gesellschaftliche Bedeutung des Themas Demenz und die positive Wirkung, die Änne Türke bei der Reaktion von Demenz-Patientinnen und -Patienten auf Jonah beobachten konnte.

„Hunde helfen Menschen mit Demenz, indem sie etwas Fröhlichkeit in den Alltag bringen und zu Bewegungen animieren, die die Erkrankten sonst gar nicht mehr machen“, sagt Änne Türke. „Sie helfen Menschen im frühen Stadium, aber auch Menschen mit fortgeschrittener Krankheit, die nicht mehr verbal kommunizieren können und auf diese Art der Ansprache, die auf einem eher emotionalen Level stattfindet, noch reagieren.“ Erst recht Demenzkranke, die früher einmal selbst Hunde hatten, können durch den Besuch eines Hundes für einen Moment „reaktiviert“ werden: „Was wir hier machen, ist keine Tiertherapie. Aber wir können eine Brücke zur Biografie der Erkrankten bauen.“ 

Türke und Nehmann erarbeiteten ein Konzept, das weit mehr ist als eine Kontaktbörse für besuchswillige Hundebesitzerinnen und -besitzer. „4 Pfoten für Sie“ prüft die Hunde zunächst auf ihre Eignung. Sie durchlaufen ein professionelles Schulungsprogramm, bei dem unter anderem der Umgang mit Demenzkranken und eine Reihe von Standardsituationen mit Hund und Mensch trainiert wird: Theorieblöcke und Rollenspiele wechseln sich ab. Auch ein Zusatzmodul „Einsatz im sozialen Dienst“ gehört zum Programm.

Ganz schön hoher Aufwand. Die Schulungen dauern über 45 Stunden, einen anerkannten „Hundeführerschein“ (mit theoretischer und praktischer Prüfung) müssen Herrchen und Frauchen vor dem ersten Einsatz auch noch vorweisen, und die Vermittlung der Ehrenamtlichen an Patientinnen und Patienten geschieht nicht einfach per Telefon oder Mausklick. Aber es liegt eben auch viel Verantwortung in der Aufgabe, die auf die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen zukommt – der Aufbau einer langfristigen Beziehung zu einem Menschen mit Demenz, der regelmäßig für einige Stunden besucht wird, ob das nun auf einen Spaziergang oder einen dösenden Hund auf dem Teppich hinausläuft.

„Das Schöne dabei ist, dass diese Art des Engagements zu vielen Leuten passt, bei denen der Hund anderen Formen des sozialen Engagements im Wege steht“, sagt Änne Türke an einem Nachmittag im Kreishaus von Bergheim, an dem ein gutes Dutzend Schulungsteilnehmer Dinge einübt wie die angemessene Kommunikation mit einem Menschen mit Demenz oder die doppelte Leinenführung mit Rollstuhl. „Und durch den Hund schwinden auch die Berührungsängste zu Menschen mit Demenz. Sogar jüngere Leute sind mit von der Partie.“

Tatsächlich ist die Resonanz groß: „4 Pfoten für Sie“ hat aktuell allein zwischen Krefeld, Köln und dem Rhein-Sieg-Kreis rund 120 Begleiterinnen und Begleiter im Einsatz. Auch in Hamburg gibt es seit 2013 „4 Pfoten für Sie“. Dort trägt der Verein „Hamburger Brücke“ durch den Hundebesuchsdienst zu einer höheren Lebensqualität von Menschen mit Demenz bei.

Der Bedarf ist noch größer. Erst recht werden männliche Begleiter gesucht, sagt Georg Hemmersbach, ein früherer IT-Teamleiter aus Köln, der sich für den Vorruhestand einen Labrador-Mischling kaufte und vor zwei Jahren mit „4 Pfoten für Sie“ Kontakt aufnahm. Hemmersbach kümmert sich mit seinem Hund Paul um einen Herrn mit fortgeschrittener Demenz, der früher obdachlos war, immer einen Hund hatte und heute „sehr zurückgezogen und niedergeschlagen“ in einem Heim lebt.

Beim ersten Besuch habe der Mann Paul einfach die Pfote gegeben und angestupst, er begann ihn zu streicheln, „beim zweiten oder dritten Besuch veränderte sich die gesamte Mimik, sobald wir im Raum waren“.

Weitere Informationen

Weitere Informationen und Details finden Sie auf der Website des Hundebesuchsdienstes: 

www.4-pfoten-fuer-sie.de

Hemmersbach hat einen Kloß im Hals, als er davon erzählt: „Sie müssten mal sehen, wie stolz dieser Mann ist, wenn er Paul an der Leine durch das Heim führen darf und von allen Seiten gefragt wird: Ist das Dein Hund?“ Der Kontakt ist mittlerweile so eng, dass Hemmersbach dem Mann in den Corona-Monaten, in denen kein Besuch möglich war und auch der Hundebesuchsdienst pausieren musste, immer wieder Postkarten von Paul schickte, um ihn auf diesem Weg zu erfreuen. „Ganz ehrlich“, sagt Hemmersbach, der fest davon ausgeht, dass der Besuchte zumindest den Hund wiedererkennt, wenn Paul und er ins Zimmer kommen, „das mit den Hundebesuchen war definitiv eine der besten Entscheidungen meines Lebens.“


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